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True Moon

  • Autorenbild: Maren
    Maren
  • 4. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit
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Es war einmal ein junger Mond, zart und silbern, der am Nachthimmel hing wie ein schüchternes Lächeln. Nacht für Nacht wuchs er ein kleines Stück, und die Sterne flüsterten ihm zu: „Bald wirst du voll und rund sein – so schön wie nie zuvor!“

Doch der junge Mond zitterte: „Ich weiß nicht, ob ich das will“, flüsterte er leise.

„Wenn ich rund bin, kann mich jeder sehen. Dann bin ich für alle sichtbar -

für euch Sterne, für die Erde, für die Menschen -

ob ich bereit bin oder nicht, ich muss leuchten, selbst in meine dunkelsten Ecken.“

Die Sterne kicherten glitzernd: „Ist das nicht gerade das Schöne daran?

Dann kannst du die Nacht erhellen!“ Doch der Mond schüttelte sein blasses Licht:

„Was, wenn ich zu hell bin? Wenn mein Licht euch das Funkeln nimmt?“


Am nächsten Abend kam eine sanfte Wolke vorbeigeschwebt.

Sie sah sein nachdenkliches Gesicht und fragte leise: „Warum siehst du so traurig aus, kleiner Mond?“ Der Mond seufzte: „Wenn ich ganz rund bin, bewege ich das Meer, wecke Träume, begleite Liebende. Ich berühre das Leben der Menschen – ohne sie je zu fragen. Was, wenn ich dabei etwas durcheinanderbringe?

Was, wenn ich zu viel bewirke?“

Die Wolke lächelte und blieb an seiner Seite: „Manchmal,“ flüsterte sie,

„vergessen wir, dass unsere Kraft nicht zum Fürchten da ist –sondern zum Teilen.

Denk nicht so viel, kleiner Mond. Strahle einfach.

Bringe Licht – für dich selbst und für andere.“


Doch der Mond war noch nicht überzeugt: „Und wenn ich hell werde und alle mich mögen –was geschieht, wenn ich wieder abnehme? Wenn mein Licht schwindet?

Werden sie mich dann noch lieben?“

Die Wolke nickte verständnisvoll: „Licht kommt und geht, kleiner Mond.

So ist der Rhythmus des Lebens: ein ewiges Ein- und Ausatmen des Universums.

Manchmal sind wir voll und weit, manchmal durchsichtig und verborgen.

Alles atmet in Kreisen – Entstehen, Wachsen, Verblassen, Neubeginn.

Auch du bist Teil dieses großen Atems.

Und in allem pulsiert dieselbe Kraft,

die uns durch alle Phasen des Werdens und Vergehens trägt:

die Liebe.

Sie vergeht nicht – sie ist der Atem selbst.“


Der Mond schwieg. In ihm wuchs eine stille Angst – die vor seiner eigenen Tiefe:

„Wenn ich ganz rund bin“, dachte er,„wird alles erkennbar. Auch das, was in mir dunkel ist. Was, wenn man das sieht?“


Da kam der Wind vorbei, tanzte zwischen den Sternen und rief lachend:

„Mut, junger Freund! Fülle heißt nicht, perfekt zu sein.

Fülle heißt, dass du alles in dir trägst – Licht und Schatten zugleich.

Das ist wahre Tiefe. Das bist du – ganz, lebendig und echt.

Das ist dein ursprüngliches, wunderbares Wesen.“


Der Mond lauschte. Etwas in ihm wurde ruhig und weit.

Er atmete tief – so tief, wie ein Himmelskörper eben atmen kann –

und ganz ohne es zu wollen, begann sein Licht zu wachsen.

Er wurde runder und heller.

Und als er schließlich voll und strahlend am Himmel stand, blickte er hinunter auf die Erde:

auf Kinder, die in seinem Licht tanzten,

auf Wölfe, die ihm sangen,

auf Liebende, die ihn betrachteten und lächelten.


Da verstand der Mond: Rund zu werden heißt nicht, sich zu verlieren –

sondern sich zu erinnern, dass alles Teil eines großen Kreislaufs ist.

Dass jedes Wachsen sein Vergehen kennt,

und jedes Vergehen Raum schafft für neues Werden.

Und in allem liegt kein Ende -

nur unendliches Wandeln und Wachsen.


Da hob er sein Antlitz, blickte vertrauensvoll in die Tiefen des Kosmos

und spürte: Alles ist gut so, wie es ist.


Seit jener Nacht fürchtet er sich nicht mehr davor, seine volle Rundung zu zeigen.

Er weiß nun: selbst wenn sein Licht schwindet, bleibt sein Wesen ganz.

Nur manchmal, wenn er wieder schmal und schüchtern wird, blickt er still in sich hinein, erinnert sich an dieses Leuchten und seine Vollkommenheit -

und schenkt sich selbst ein sanftes, liebevolles Lächeln. 🌕



 
 
 

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